Die Wiedervereinigung der zwei chinesischen Republiken und ethnische Chinesen in der ganzen Welt
Dieser Text beschäftigt sich mit einem Teil der Chinesisch-Taiwanesischen Geschichte, allerdings ohne akademischen Anspruch, sondern schlicht und ergreifend beruhend auf meiner siebenwöchigen Erfahrung und dem Austausch mit Menschen in diesem wunderbaren, aber politisch sehr kontroversen Land.
Taiwan ist ein Land mit einer eigenen Geschichte und eigenen Identität, die sich selbstverständlich auf der Geschichte gründet. Ursprünglich von Ureinwohnern bewohnt, wurde es über die Jahre von verschiedenen Völkern entdeckt und besiedelt, mehr oder weniger im Einklang mit den Menschen, die dort bereits lebten. Der chinesische Einfluss nahm stetig zu, bis Ende des 19. Jahrhunderts, nach Ende des Sino-Japanischen Krieges Taiwan eine japanische Kolonie wurde, die nach dem zweiten Weltkrieg mit internationalem Druck an China zurückgegeben wurde. Zu diesem Zeitpunkt (1945) war auf dem chinesischen Festland 1912 bereits die „Republic of China“ gegründet worden. Als Vertreter der 中國國民黨(übersetzt zu Kuomintang = Chinesische Volkspartei) wurde Sun Yat Sen erster Präsident der Chinesischen Republik und war bis zu seinem Tod 1925 der Gegenspieler des Kommunisten Mao Zedongs. Ihm folgte Chiang Kai Shek, der allerdings gegen Mao Zedong verlor und sich ins Exil nach Taiwan zurück zog, wo die Chinesische Republik weiterhin bestehen blieb, während auf dem chinesischen Festland die kommunistische Volksrepublik China unter Mao Zedong etabliert wurde.
Neulich unterhielt ich mich mit einem jungen Mann, der aktives Mitglied der Kuomintang ist. Wir sprachen einige Zeit über unser gemeinsames Interesse an Politik und plötzlich erklärte er unvermittelt, dass historisch und politisch Deutschland sein Vorbild sei. Er bezog sich damit auf die Wiedervereinigung zwischen Ost und West. „Ich hoffe, dass auch wir eines Tages eine Wiedervereinigung wie in Deutschland erleben und China wieder ein großes, demokratisches Land ist.“ Ich nahm es schweigend, aber verwundert zur Kenntnis.
Ich weiß, dass es in Taiwan ein politisches Lager gibt, das sich für die Unabhängigkeit Taiwans von China engagiert und sich insbesondere im Blick auf internationale Beziehungen nach eigenständiger Anerkennung sehnt. Das andere, pro-chinesische Lager bemüht sich dahingegen inzwischen wieder um eine Annäherung an China. Jedenfalls dachte ich bisher, dass es so herum laufen soll. Nun habe ich aber gelernt, dass es nicht darum geht, dass China Taiwan aufnimmt, sondern darum, dass die Chinesische Republik den ihr zustehenden Teil „zurückbekommt“: Das, was wir heutzutage als Chinesische Volksrepublik kennen. Bei Deutschland habe es schließlich auch funktioniert, dass die Demokratie über den Kommunismus gewinne. Ich muss, bei allem Respekt, sagen, dass ich es bezeichnend finde, wie ein historisches Ereignis (hier die Wiedervereinigung) ohne dem Ursprung und der politische Entwicklungsgeschichte Beachtung zu schenken, so zurechtgebogen wird, dass es als Allegorie für den eigenen Größenwahn verwendet werden kann.
Aber ich merke in meinem Studium, das sich in den letzten Wochen zum Großteil um China dreht, dass mich eine derartige Denkweise eigentlich nicht überraschen sollte. Fakten und Tatsachen, die von Wissenschaftler*innen aus aller Welt analysiert und von uns Studierenden durchdiskutiert werden, sind die eine Seite, um dieses mir bisher fremde und ferne System zu verstehen.
Die andere Seite ist durch das Erlernen der Sprache.
Aber alles der Reihe nach. Die chinesische Geschichte ist geprägt von Dynastien, in denen es mal bergauf und mal bergab ging, bis es dann ab Mitte des 19. Jahrhunderts (Stichpunkt Opium-Krieg und Verlust von Hong Kong an Großbritannien) vor allem bergab ging (und nun seit knapp 30 Jahren vor allem wirtschaftliche wieder bergauf). Lange Zeit war China eine unumstrittene Weltmacht, hochentwickelt und einflussreich. Mit anderen Ländern wurde Handel getrieben, aber an sich dreht sich das eigene politische Verständnis Chinas um die Nichteinmischung. Mind your own business, China hat immerhin genug Landfläche um damit restlos beschäftigt zu sein. Aber auf dieser Selbstzentrierung fußt auch ein großes Selbstbewusstsein. China, Zhongguo, das Land der Mitte, das höchste aller Güter. Chinese zu sein ist nach diesem Verständnis ein glückliches Schicksal. Dementsprechend gilt auch: Einmal Chinese, immer Chinese.
Nun betrete ich ein Terrain, das vor allem im Deutschen heikel ist.
Eine der ersten Vokabeln, die ich in meinem Chinesisch-Buch lernte, war 華人(huaren). Dieses Wort bezeichnet die Ethnie „Chinesisch“ und wird häufig im Kontext von Rasse und der Reinheit des eigenen Bluts diskutiert. Chinesen, Hongkonesen (?), Taiwanesen, Singapurer – sie alle sind huaren. Ebenso Menschen, die in andere Länder ausgewandert sind. Und deren Kinder. Und deren Kindeskinder. Und selbst Mixturen verschiedener Ethnien „dürfen“ sich noch dazu zählen.
Ich kenne hier in Taiwan vor allem viele junge Menschen, deren Eltern oder Großeltern nach Amerika ausgewandert sind. Die meisten von ihnen sind nach Taiwan gekommen, um entweder Englisch zu unterrichten oder chinesisch zu lernen und ihre taiwanesischen Wurzeln kennen zu lernen. Sie alle sind in Amerika aufgewachsen, fühlen sich amerikanisch, haben pubertäre Identitätskrisen hinter sich, die oft damit zusammen hingen, dass sie nicht so blond oder weißhäutig waren, wie sie gerne wollten, sie rebellierten (oder rebellieren noch immer) gegen die Ansprüche ihrer Tigermütter und können anfangs oft nur brüchig chinesisch sprechen und lesen. Sie haben asiatische Gesichter, aber breite Schultern, amerikanischen Stil und Gang und sprechen in den breitesten Mundarten – wie sollte es auch anders sein, immerhin sind sie Amerikaner*innen. Zu sagen, sie seien keine Huaren, heißt nicht, dass sie nicht zu ihrem ethnischen Ursprung stehen, sondern ist einfach die logische Konsequenz daraus, dass Identität nicht mit Blut oder Rasse zusammen hängt, sondern mit Zugehörigkeitsgefühl, mit Sozialisierung und mit einer eigenen Entscheidung. Im Umkehrschluss bedeutet diese Denkweise ja auch, dass ich niemals Huaren, also Teil dieser Gesellschaft werden könnte, immerhin sieht man meinen grauen Augen eindeutig die fremde Linie an. Als ob das Konstrukt von Identität, das sich auf Nationalstolz und Abstammung gründet nicht schon gefährlich genug sei – ein derartig absolutes und exklusives Modell kann nicht gut sein. Auf jeden Fall nicht aus meiner westliches Perspektive, so biased und verfremdet diese womöglich sein mag.
Abschließend kann ich nur sagen, dass ich hoffe, mein Wissen über und womöglich auch mein Verständnis für das chinesische System und die Denkweise vertiefen kann, so lange ich hier bin. Ich bin dankbar über Anregungen, über Kritik und über Reflexion über Zusammenhänge die mir womöglich (noch) nicht sichtbar sind.
>>>> Für den ersten Teil habe ich genannte Fakten mit „Roy, Denny: Taiwan. A political history. Cornell University Press 2003“ abgeglichen.
Oktober 2014