In den letzten Tagen ließ es sich in Taipeh noch besser leben, als sowieso, denn das Wetter war – und ist noch immer – traumhaft. Strahlend blauer Himmel, nur ein paar kleine Wolken zur Zierde, nicht zu warm, nicht zu kalt und immer von einer kleinen Brise begleitet. Es ist optimales Wetter, um durch die Stadt zu laufen, im Park zu sitzen, am Fluss entlang zu radeln, in die Berge zu gehen, am Strand zu entspannen – das Leben in vollen Zügen auszukosten.
Seit ein paar Tagen und Wochen ist Herbst und die Farben in der Stadt haben sich verändert, die Sonne scheint nicht so grell und färbt sich abends schneller golden, neue Blumen blühen und in den Parks und am Straßenrand färben sich Blätter an Bäumen und Büschen. Gerade wo ich mich nach einigen nassen Tagen schweren Herzens daran gewöhnen wollte, dass ich die nächsten Monate nur mit Regenschirm aus dem Haus gehen werde und mir Gummistiefel zulegen muss, überrascht mich das Wetter mit Perfektion.
In der Uni geht alles seinen gewohnten Lauf, morgens um acht beginnt mein Tag mit Chinesischunterricht, zwischendrin lese und lerne ich, nachmittags noch mehr Kurse und einmal in der Woche ein Besuch in einer Grundschule, um im Englischunterricht auszuhelfen. Abends treffe ich Freunde und falle danach müde ins Bett, ehe mich die Sonne und die Geräusche auf der Straße frühmorgens wieder aus den Federn jagen, ich kaufe auf dem Weg zur Uni je nach Laune Mangosaft oder Sojamilch und seit mein chinesisch soweit ist, etwas Obst auf dem kleinen Markt vor meiner Haustür. Guave ist mein neues Lieblingsobst.
Zwischendrin passiert nicht viel: ich mache viel Sport, esse noch viel mehr und lasse keine Gelegenheit aus, mein chinesisch in der Realität zu erproben, was von Tag zu Tag besser funktioniert (auch wenn das durchaus mal dazu führt, dass ich nicht den Banane-Mango-Shake, sondern den Wassermelone-Guave-Shake bestelle, weil mir die erste Hälfte von „Banane“ auf Chinesisch nicht mehr einfällt).
Ich bin keine von denen, die jedes Wochenende eine andere Stadt besucht, die Nächte durchfeiert und keine Gelegenheit auslässt, auf Achse zu sein, ich verwende meine Energie auf das tägliche Leben und das Studieren. Damit bin ich zufrieden, es gibt mir das Gefühl, hier daheim zu sein und nicht nur für ein kurzes Abendteuer weit weg.
Seit ich vor drei Jahren zu Hause auszugezogen bin, habe ich nicht länger als einige Wochen oder Monate an einem Ort gelebt, immer mit den unterschiedlichsten Beschäftigungen und aus den verschiedensten Gründen. Ich lebe ein aufregendes Leben, in dem ich einiges geplant habe, aber dennoch das meiste auf mich zukommen lasse und je nach Situation improvisiere. Wann immer ich an einem Ort bin, packt mich irgendwann das Verlangen danach, etwas Neues zu sehen, kennen zu lernen, lieben zu lernen, unabhängig davon, wie glücklich ich in diesem Moment an einem Ort bin. Ich habe Freundinnen und Freunde auf der ganzen Welt und meine Familie in Deutschland, die ich von ganzem Herzen liebe, doch ich brauche das Abenteuer, das Unbekannte und das Neue.
Dieses Mal, als ich kurz davor war, wieder einmal umzuziehen und meine Dinge so gut wie möglich in Koffer und Kisten gepackt hatte, zweifelte ich für einen Moment mehr als sonst daran, ob es eine kluge Entscheidung gewesen ist, um die halbe Welt zu ziehen. Es ist großartig und bereichernd, in verschiedenen Ländern zu leben und Kulturkreise aller Art kennen zu lernen, aber es ist auch schön, im vertrauten Umfeld zu sein, die Leute zu kennen, bei denen man mitternachts Sturm klingeln und Schokolade essen kann, während man über all die Herausforderungen grübelt, die einem in den Zwanzigern so wichtig und so unbezwingbar erscheinen. Es ist entspannt, nicht immer neue Leute kennen zu lernen, nicht immer die gleichen Fragen zu stellen und zu beantworten, sich immer wieder von der besten Seite zu präsentieren, weil einem nicht der Sinn danach steht, das ganze eigene Seelenleben vor wildfremden Menschen aus aller Welt zu offenbaren.
Wenn es möglich wäre, alles miteinander zu verbinden, wäre ich sehr glücklich: Abenteuer, Neues und das Leben aus dem Koffer mit den bekannten Gesichtern, im vertrauten Kreis, mit meinen Büchern, meinem Klavier und all dem süßen Schnickschnack, den ich nicht unbedingt brauche, aber der mein Leben doch ungemein verschönert. Doch das ist nun einmal nicht möglich und ich möchte mich nicht über die Möglichkeiten beschweren, die mir gegeben sind, auch wenn der Umstand, dass ich an vielen Orten zu Hause bin unausweichlich beizeiten zu etwas Heimweh führt. Aber wenn man es aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet, dann bedeutet genau diese Sehnsucht im Grunde nur, dass ich mich glücklich schätzen kann, überall auf der Welt liebenswerte und wunderbare Menschen zu kennen.
Aber genug zu dem Heimweh. Gestern, als ich etwas nachdenklich durch die sonnigen Straßen rund um meine Wohnung schlenderte, beschloss ich, dass im Angesicht meines Gefühlchaos ein kleiner Snack genau richtig sei. Ich befand mich an einer Ecke, nicht weit entfernt von einem 7/11. Ich wandte den Blick nach links – ebenso nah ein Family Mart, klar – ein Convenient Store kommt selten allein. Diese kleinen Läden, die ich als Konbinis aus Japan kenne, machen ihrem Namen alle Ehre. Sie sind überall, sie sind immer geöffnet und haben alles. In Deutschland sind sie nur mit Tankstellen vergleichbar – aber nicht einmal annähernd so teuer. Als ich das erste Mal in Taiwan war, bevorzugte ich 7/11, denn ich kannte diesen Laden aus Japan. Das Sortiment ist allerdings hier anders als dort, aber die Reisbällchen (Onigiri auf Japanisch, ich sollte langsam mal den chinesischen Namen lernen) schmecken gleich und meine Ernährung war nicht besonders ausgeglichen, also war ich mit Reis, Melon Bread und Mangosaft völlig zufrieden.
Jetzt wo ich zurück bin, habe ich Family Mart schätzen gelernt. 7/11 lockt mich zwar nach wie vor mit dem besseren Tee (nur der Schwarztee mit Zitrone oder Apfel ist besser im Family Mart) und auch der Mangosaft ist ein kleines bisschen billiger, aber Family Mart hat die besseren Backwaren. Im 7/11 sind zu viele der Brötchen überraschend mit einer süßen Paste aus roten Bohnen gefüllt, die mir nur bedingt schmeckt. Im Family Mart dahingegen schmecken die Pancakes und Bagels vertrauter, außerdem führen sie eine große Auswahl an Sojamilch (seit neustem sogar mit Melonengeschmack!). Außerdem habe ich mein Lieblingseis – Geschmacksrichtung Passionsfrucht – bisher nur im Family Mart gefunden und an der Heißtheke gibt es im 7/11 zwar all die feinen Dinge für die Suppe, aber keine gebackenen Süßkartoffeln. Und da es die meisten anderen Dinge, nach denen mir der Sinn steht (wie z.B. PocariSweat, das Ion Supply Water, das ich beim Sport trinke oder C.C.Lemon gegen Erkältung) in beiden Läden gibt, habe ich meine Entscheidung getroffen und gehöre dem Team Family Mart an. Aber ich bin tolerant. Und manchmal ist mir wirklich total nach dem 7/11 Tee. Gerade an heißen Tagen wie heute – Grüntee mit Grapefruit, Gerstentee oder andere Kreationen – da gönne ich mir gleich einmal eine Flasche.