Am 29.11.2014 fanden in Taipeh die Bürgermeisterwahlen statt. Ich habe in meinem Leben keine so emotionale und enthusiastische Wahl erlebt – vor allem nicht für eine lokale Wahl.
Bereits im Vorfeld zogen große und kleine Menschengruppen durch die Straßen, schwenkten Fahnen, riefen Parolen und warben ihren Kandidaten, ich wurde morgens von Lautsprecherdurchsagen von tagelang die die Stadt fahrenden Autos und Vans geweckt und fiel zu ihrem schnarrigen Ton wieder in den Schlaf.
Gestern wurde voller Erwartung das Wahlergebnis erwartet – als ich auf dem Weg zu den Headquarters des Favoriten unterwegs war, waren ganze Straßenzüge ausgestorben; in den Läden hingen die Menschen vor Radios und Fernsehern. Dann kam das Ergebnis: Der Favorit Ko Wen-Je (柯文哲)hat die Wahl mit 57,1% gewonnen und es sieht aus, als wenn tatsächlich mal einer von den Guten in eine wichtige Position gewählt wurde.
Was ich jetzt schreibe, ist keine umfassende Wahlanalyse, dafür habe ich mich zu wenig mit dem ganzen Zusammenhängen auseinander gesetzt. Ich versuche nur, einen Einblick zu geben.
Dieses Jahr war für Taiwan politisch brisant und von sehr viel Protest geprägt. Das weiß ich aus eigener Hand, weil ich im März die Besetzung des Parlaments erlebt habe. Proteste im kleineren Rahmen gegen engere Verbindungen zu China hielten an und wurden durch die Demokratiebewegung in Hong Kong noch bestärkt. All das führt dazu, dass die pro chinesische regierende Kuomintang (KMT國民黨) zunehmend Wählerstimmen verliert, zugunsten der Oppositionspartei Demokratisch Progressive Partei (DDP民進黨).
Der neu gewählte Bürgermeister der Stadt Taipeh ist zwar parteilos, unterstützt allerdings die Interessen der DDP. Während der Spitzenkandidat der KMT aus einer seit Generation bekannten, wohl betuchten Familie stammt, repräsentiert Ko Wen-Je Bürgernähe, Gleichberechtigung und Teilhabe.
Er war von Beruf Arzt, deswegen schenkt man ihm Vertrauen, und auf seinen Wahlplakaten hat er die Arme verschränkt und blickt durch seine schmalrandige Brille mit einem leichten Lächeln etwas in die Höhe, etwas in die Ferne – als würde er weiter blicken können, aufwärts – dorthin wo sein Kurs Taipeh führen wird. So etwas zieht hier.
Vor allem aber repräsentiert er Taiwan als eigenes Land. Auf der Wahlparty, eine riesengroße Open-Air-Veranstaltung, in der die Luft in drückenden 30°C dennoch etwas dick war, schwenkten begeisterte Fans vor dem Headquarter des Wahlkampfes Fähnchen, klammerten sich an Ballons und kreischten begeistert. Sie machten Fotos mit einer Pappaufstellfigur, wobei sie seine selbstbewusste und dennoch bescheidene Pose mit verschränkten Armen imitierten. Es war eine Riesengaudi, untermalt von einer taiwanesischen Rockband (richtig coole Musik!), die auf Taiwanesisch(!) und nicht Chinesisch sangen und dabei die langen oder alternativ blond gefärbten Haare schüttelten.
Mir kamen während der ganzen Veranstaltung zwei Dinge in den Sinn: Bei der Unterstützung die der in der Tat sehr charismatisch wirkende Ko Wen-Je erhält, würde es mich nicht wundern, wenn er bald Präsidentschaftskandidat wäre (Wahlen 2016!) – und ein Kandidat, der sich so offen zur taiwanesischen Identität und Fortschritt bekennt, hätte in jedem Fall (international) Schlagkraft (Unterstützung dieser These habe ich später auch in diesem Artikel bekommen: http://www.nytimes.com/2014/11/30/world/asia/independent-is-elected-taipei-mayor-as-taiwans-governing-party-falters-.html).
Zweitens war ich beeindruckt davon, wie politisiert die taiwanesische Bevölkerung ist, wie sehr hier an mögliche Veränderung geglaubt wird, wie viel Spaß Politik macht. Die Stimmung ist ansteckend, die Menschen sind mit Leib und Seele dabei. Eine der Dinge, die mir aus den Headquarters besonders in Erinnerung geblieben ist, war der „Wunschbaum“. Ein Baum, beklebt mit bunten Post-Its voller Wünsche an den Kandidaten. All das sind Dinge, die für uns abgeklärte Deutsche kindisch und überdreht wirken, aber es funktioniert. Es erreicht die Menschen an einem emotionalen Punkt, an dem sie sich wirklich Gedanken machen und wie gesagt, mit Leib und Seele dabei sind. Und am Ende geht es bei politischen Volksentscheidungen doch immer um das gute Gefühl und nicht um die abgeklärten Gedanken. Wobei in diesem Fall Kopf und Herz für Ko Wen-Je sprechen können.
Und noch ein Fun Fact zum Schluss: Ich habe bei meinem chinesischen Namen柯梅雅den gleichen Nachnamen wie der neu gewählte Bürgermeister von Taipeh. Angeblich ist das ein Name, der taiwanesischen Ursprung bedeutet (so lange er nicht irgendwelchen Ausländer*innen von der Uni zugeteilt wird). Oh Yeah.