Ich bin nach einem Abstecher nach Kambodscha wieder in Vietnam, zurück in Saigon und es fühlt sich an als wenn ich ewig weggewesen wäre. Ich sollte eindeutig häufiger entspannen, lange schlafen, langsam essen, die Zeit vergessen; das tut mir gut.
Um die Stadt an meinem letzten Tag in ihrer ganzen Pracht genießen zu können, bin ich auf die Dachterrasse des Hostels gegangen, und genieße jetzt den Wind und den Blick auf den Park und die hohen Häuser umzu im goldenen Licht der Nachmittagssonne. Es fiel mir leicht, den Artikel über Kambodscha zu schreiben, denn ich habe gerade genug gesehen, um einen spannenden Text schreiben zu können, aber nicht zu viel, um in Eindrücken zu ertrinken. Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll, um mein Vietnam-Erlebnis zu beschreiben und ihm in all seiner bunten Vielfalt gerecht zu werden. Ich starte einmal einen Versuch.
Nachdem ich mein Austauschsemester in Taiwan erfolgreich zu Ende gebracht hatte, beschloss ich, einige Wochen in Südostasien zu reisen. Ich war zuvor zu beschäftigt gewesen, um Pläne zu schmieden und so kam ich mit nichts als meinem Visum und einer Hostelreservierung in Ho Chi Minh Stadt an. Die Reise war keine Freude: Ich hatte Probleme einzuchecken, da der junge Mann am Schalter dachte, mein Taiwan-Visum sei abgelaufen und die Einwanderungsbehörde zu Rate zog. Nachdem ich nach einigem Hin und Her erfolgreich eingecheckt war und mich durch die völlig überfüllte Sicherheitskontrolle kämpfte, merkte ich, dass ich in all der Aufregung vergessen hatte, zu essen. Ich war müde und schlecht gelaunt, es war keine gute Idee gewesen, am Vorabend bis zwei Uhr morgens taiwanische TV-Shows zu gucken, aber sie waren so fesselnd gewesen…
Jedenfalls schaffte ich es nach Vietnam und kam völlig unkompliziert durch die Passkontrolle. Es war fast Mitternacht, die Luft war schwer und schwül, Lichter blinkten, Menschen schrien, ich schwitzte. Ich wollte so schnell wie möglich in die Stadt, ich war müde, hungrig und in keiner Stimmung für ein Abendteuer. Ich fühlte mich kränkelnd. Meine Kreditkarte funktionierte nicht, die zweite auch nicht und ich ersparte mir den dritten Versuch mit meiner deutschen Geldkarte. In meiner erschöpften Verzweiflung begann ich mich selbst dafür zu beschimpfen, dass ich jetzt hier war und nicht in meinem Bett in Taiwan. Aber es half ja nichts. Ich kam mit einem Backpacker-Pärchen ins Gespräch, mit dem ich vereinbarte, ein Taxi zu teilen und ihnen meinen Teil zurück zu zahlen, sobald ich meine finanzielle Situation geregelt hatte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass uns der Taxifahrer übers Ohr haute, aber ich war zu erschlagen, um zu protestieren. Ich war erledigt, fertig mit der Welt. Mein Hostel war nett und familiär[i], aber ich war kurz davor, zusammen zu brechen, als ich mein Gepäck in den fünften Stock schleppen musste. Ich betrat den Raum, alles was ich sah war ein großes, sauberes, gemütliches Bett. Eine junge Frau sprang auf und kam mir aufgeregt rufend entgegen. Mein Kopf war kurz davor, zu zerspringen.
In der Nacht, in der ich in Ho Chi Minh Stadt, die in diesem Teil des Landes meistens Saigon genannt wird, ankam, bekam ich Gewissheit darüber, dass mir nichts Arges geschehen wird. Für einen Moment wollte ich einfach nur umdrehen und in den nächsten Flieger nach Taipeh steigen; ich wollte nicht einmal einen Versuch starten, das Beste aus diesem Erlebnis zu machen – wie untypisch für mich. Aber in dem Augenblick, in dem ich das Zimmer betrat, wusste ich, dass es richtig und wichtig ist, immer davon auszugehen, dass Dinge sich zum Guten wenden.
Die junge Frau, die mich mit so viel Begeisterung empfing, war eine deutsche Freundin, die ich in Taiwan kennen gelernt hatte. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit?! Von all den Ländern, Städten, Bezirken, Hostels, Zimmern landeten wir beide zur gleichen Zeit am gleichen Ort. Ich war noch immer müde und mein Kopf hämmerte, aber ich fühlte mich nicht mehr verloren und allein.
Ich habe den ersten Teil dieses Textes vor meiner Abreise nach Kambodscha geschrieben, aber es ist mir nicht gelungen, alles der Reihe nach online zu stellen. Jedenfalls war ich zu dem Zeitpunkt ebenfalls in Saigon, in einer Bar, in der mich die Kellnerinnen und Kellner neugierig beäugten, weil ich so viel schrieb und immer mal wieder für einen kurzen Plausch an meinen Tisch kamen.
Ich hatte nicht geplant, diese Nacht in Saigon zu verbringen, sondern hatte eigentlich vorgehabt, jetzt in Can Tho im Mekong Delta zu sein, um im Morgengrauen die Schwimmenden Märkte auf dem Mekong zu sehen, aber ich hatte diesen Plan auf halbem Weg abgebrochen und war nach einer etwas seltsamen Begegnung mit einem jungen Mann im Morgengrauen Hals über Kopf zurück nach Saigon gereist. Ich kann mich jedoch nicht beklagen, denn ich reise nicht mit einer To-Do-Liste von Dingen, die ich sehen und tun muss, sondern ich lasse mich gerne treiben und verweile für einen Moment. Beides hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht getan. Als ich angekommen war, hatte mich die Intensität Vietnams umgehauen, der Unterschied zu allem mir Bekannten war so groß, dass es mir zu Beginn Schwierigkeiten bereitete, damit umzugehen. An dem Abend in Saigon hatte ich mich inzwischen an die lebendige Hektik, die grellen Farben, die nie verebbenden Geräusche und die fremden Gerüche gewöhnt. Ich genoss das Chaos geradezu.
Die Bar[ii], in der ich saß, hatte mich und einen jungen Mann, in den ich mich auf einer 27-stündigen Busfahrt spontan verliebt hatte, mit guter Musik, guten Drinks und dem üblichen Billiardtisch einige Tage vorher gelockt und wir hatten nach Mitternacht auf der stillen Dachterrasse, von der die meisten nichts wissen, von Valentinstags-Specials profitiert. Von der Bar, die sich tagsüber als Café verkleidet, reichen die Tische bis an die Straße, die man von der Dachterrasse überblicken kann und man kann das Treiben beobachten, ohne zu nah daran zu sein und Gefahr zu laufen, unter die Räder eines der unzähligen Motorräder zu kommen. Frauen verkaufen Streetfood und kleine Souveniers, Kinder spucken Feuer, alte Männer bieten ihre Dienste als Taxi-Chauffeur an, überall werden kleine Shops und Spas beworben und Touristen laufen am Straßenrand, vorsichtig nicht in einen Unfall verwickelt zu werden.
Mein erstes Ziel, nachdem ich mich ein paar Tage in Saigon ausgeruht hatte, war Mui Ne an der Westküste. Ich buchte ein Resort [iii] mit Pool am Strand. Ich brauchte Ferien, ehe ich bereit war, zu erkundigen. Der Strand des Resorts war zwar im Laufe der letzten Jahre vom Meer verschluckt worden, aber Sonne lässt sich auch auf Liegestühlen am Wasser genießen. Ich nahm mir zwei Tage Zeit, um auf das Meer zu blicken und unternahm dann eine Tour durch die traumhaften Sanddünen in der Nähe, wo weißer und roter Sand im prächtigsten Kontrast zum makellos blauen Himmel strahlt. Ich reiste mit einem kleinen Bus ohne Fußraum weiter, über holprige Bergstraßen ins Hochland des Zentralgebirges von Vietnam nach Da Lat. Auf dem Weg kamen wir an kleinen Restauranthütten vorbei, wo müde Truckfahrer nach ihrer täglichen Nudelsuppe in Hängematten dösten.
Ich könnte eine Weile so weiter machen, aber ich denke, es ist nicht besonders interessant, einer linearen Beschreibung meiner Reise zu folgen. Ich werde versuchen, das Ganze in eine spannendere Struktur zu packen.
Während meiner Reise habe ich relativ schnell gemerkt, dass es mir nicht möglich ist „blind“ zu reisen. Egal, wohin ich komme, was ich sehe, was mir auffällt – ich analysiere es, vergleiche es mit allem, das ich zuvor gesehen habe und versuche, es zu verstehen. „Berufskrankheit einer Sozialwissenschaftlerin“, meinte eine Koreanerin. „Spaßbremse“, meinte ein Engländer. „Irgendjemand muss ja von der Welt lernen, um sie zu verändern“, sagte ein anderer Engländer.
Ich hatte nicht viele Erwartungen gegenüber Vietnam, ich hatte allerdings bisher nur das Beste gehört und hatte umwerfend schöne Bilder gesehen. Ich wusste etwas über Geschichte und gegenwärtige Politik. Ich wusste nicht viel, aber auf jeden Fall genug, um neugierig zu sein. Ich wollte Urlaub machen und nun blicke ich zurück auf drei Wochen voller Input, Inspiration und Lernen.
[i]Long Hostel (373/10 Pham Ngu Lao street) – schlicht, aber sauber und nett, wo man von nettem Staff begrüßt wird und morgens gutes Frühstück bekommt
[ii] Go2 Bar (187 Đề Thám, Phạm Ngũ Lão Street) – unbedingt einen Good Morning Vietnam bestellen
[iii] Mui Ne Backpackers Resort (88 Nguyễn Đình Chiểu) – sieht aus wie ein Resort, aber bietet Dorms zu Backpackerpreisen, billige Touren in die Sanddünen und die Möglichkeit, den Pool im gegenüberliegenden Backpacker Village zu nutzen.