Jeder Reise wohnt ein Zauber inne. Das wohl schönste ist, dass dieser Zauber nicht vorhersehbar und planbar ist, sondern dass er mich, die Reisende, überrascht. Ich weiß nie, worin der Zauber liegt, ich weiß nur, dass ich ihn erwarten kann.
Ich reiste nach Riga direkt nach Silvester. Es war kalt, aber das war in Ordnung, denn ich hatte es vorher gewusst und ich war nicht allein, sodass ich mich wärmen lassen konnte. Es hatte Frischschnee gegeben, die Straßen waren gezuckert und die Nachmittagssonne tauchte die großen Straßen, den Fluss, die Parks und dick eingepackte Letten in ein warmes Licht. Es sah idyllisch aus und romantisch, jedoch nicht kitschig. Graue Plattenbauten (wenngleich mit einem modern, futuristischen Hauch) und stählerne Brücken können durchaus romantisch, nicht aber kitschig aussehen, stellte ich fest.
Es ist schwer abzuschätzen, wie groß Riga ist. Es erscheint recht übersichtlich, nicht allzu groß, scheint sich aber dennoch in verschiedene Ecken auszubreiten. Aber wir waren Touristen, noch dazu im Januar und wir hatten es nicht darauf abgesehen, möglichst viel der Stadt zu Fuß zu erkunden, sondern einen schönen Urlaub zu erleben.
Ich hatte Tallinn zuvor im Sommer besucht, eine Märchenstadt mit fantastischen Fassaden, und auch Riga hat das Potential zu einer Filmkulisse. Doch das Schöne an Riga war, dass es nicht von Touristen aus aller Welt bevölkert wurde (wer will auch bei -20 Grad Urlaub machen?) und es dadurch viel besser zu genießen war. Der Altstadtkern Rigas ist erstaunlich groß und immer gibt es noch ein paar kleine Straßen zu entdecken, bis man plötzlich auf den Fluss schaut oder sich in einem kleinen Park wiederfindet, wo bunte Kunst und schwarze Statuen in Schnee gehüllt glitzern. Ich lief herum und in meinem Kopf wiederholte sich “It’s a marshmallow world in the winter…”.
Wir spazierten von Café zu Café, probierten pflichtbewusst Black Balsam, Lettlands Nationallikör, und stiegen dann wieder auf heiße Schokolade und Punsch um und beobachteten Menschen in Pelz- und Pudelmützen. Wir aßen Brot mit sehr viel Knoblauch, weil es ein Muss war (und ein sehr feines Muss dazu) und ansonsten Nudelpfanne á la Hostelküche. Wir besuchten die Staatsoper, weil ich eine prinzessinnenhafte Balettaufführung sehen wollte und wir wurden vom “Nussknacker” und spindeldürren Tänzerinnen in funkelnden Tutus nicht enttäuscht.
Riga lässt sich gut zu Fuß erkunden, selbst bei eisigen Temperaturen. Es ist eine interessante Aneinanderreihung abwechselnd alter und eher neuerer Gebäude, wo sich in Innenhöfen kleine Lädchen verstecken und wo viel russisch gesprochen wird.
Im Grunde entsprach Riga meinen Erwartungen, die Erwartung an eine Stadt zwischen Vilnius und Tallinn, ein baltischer Stadt am Meer. Aber das heißt nicht, dass ich es nicht hätte genießen können. Es war wie zu erwarten voller Klinker, kopfsteingepflasterten Straßen, Cafés mit Internet und umzu der Altstadt dem einfachen Leben. Aber es war deswegen nicht langweilig, sondern entspannt und schön.
Nun kommen wir aber zum Zauber, noch dazu zum Zauber Minusgraden. Wir nahmen einen Bus raus aus der Stadt, durch Straßen, die sich lange Zeit nicht veränderten, bis wir plötzlich am Stadtrand waren und dann noch ein bisschen weiter, wo nur noch vereinzelt Häuser standen. Außerhalb des Busses war es noch kälter als drin, aber die Sonne wärmte ein bisschen und ich hatte alle Körperteile mit Schurwolle vor der Kälte geschützt.
Nicht weit von Riga gibt es ein Museumsdorf, das im Sommer sicherlich viele Familien anzieht. Im Januar ist dort niemand. Das heißt, wir waren allein mit der Sonne in einem Waldstück umgeben von Häusern und Erntemaschinerie aus vergangenen Jahrhunderten. Es war still, aber nicht gespenstisch still – dafür war es zu hell und dafür leuchtete die Sonne zu schön. Der Schnee reichte uns mancherorts fast bis zum Knie und war bis auf einige Fußspuren unberührt und pudrig. Wir wären gerne länger geblieben, denn es war traumhaft schön. Ich habe auf meinen Reisen schon viel Schönheit gesehen, aber noch nie Schnee in voller Pracht. Denn wann zieht es einen schon zur Kälte?
Das Winterwunderland hatte noch mehr zu bieten. Wir wärmten uns mit einer Suppe auf und fuhren an die Küste, in einen Ferienort, wo kleine, bunte Villen ganz entzückend den Weg zum Meer säumten. Die Ortschaft muss im Sommer schrecklich überrannt sein, gemessen an der Anzahl von Souvenierläden und Hotelburgen, doch auch hier waren um diese Jahreszeit – natürlich – nicht viele Menschen. Der Sand war pudrig weiß, doch er war nicht das wahrlich Faszinierende.
Die Wellen hatten Muster und Strukturen in den Sand gezeichnet und waren dann in der Bewegung festgefroren, auf dem Eis lagen kleine Kristalle wie eingefrorene Schneeflocken. Immer weiter wagten wir uns auf das Eis, dass andere Muster bildete,je tiefer das Wasser darunter wurde. Am gar nicht so weit entfernten Horizont ging die Sonne unter und tauchte das eisige Meer in dunkle Töne und ich war fasziniert von der Fähigkeit auf gefrorenem Meer zu laufen.
Wenn Leute einen Bericht über eine Reise lesen, dann erwarten sie sich recht häufig wertvolle Tipps. Sie wollen über die 7 besten Restaurants, die 12 hippsten Cafés und die 17 abgefahrendsten Outdoor Activities lesen. Ich kann sagen, dass sich der Blick von oben auf die Stadt im Abendlicht lohnt; dass sich um Riga herum wunderschöne Flecken Landschaft befinden und dass es sich im LIDO und im ALA Folk Club gut speisen lässt. Ich war nicht für Kultur in Riga, auch nicht für neue Kontakte. Ich war dort, weil ich ausspannen, abschalten und durchatmen wollte. Ich wollte mich überraschen lassen, was mich in den Bann ziehen und verzaubern kann, wenn nicht die spannenden Geschichten von Menschen über ihr Land und Kultur. Von daher kann ich nur sagen, dass Riga eine wunderbare Entscheidung für einen wunderbaren Urlaub war.
Januar 2016