Seit Anfang September besitze ich ein Fahrrad in Krakau und seitdem frage ich mich, wie ich ein Jahr lang ohne Fahrrad in Krakau leben konnte. Als Dank dafür, dass ich auf eine derart klimafreundliche Art der Fortbewegung umgestiegen bin, strahlt seit Wochen die Krakauer Sonne als wenn noch Sommer wäre vom blauen Himmel und lässt die Parks und Gärten golden aufleuchten, die ich tagtäglich erkunde. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht mein Rad aus dem Keller wuchte, durch drei Türen und ein Tor schiebe, einmal durchatme und passiv-aggressiv losflitze. Warum passiv-aggressiv, wo ich doch das Fahrradfahren so liebe? Krakau ist nicht gerade eine fahrradfreundliche Stadt, auf jeden Fall nicht auf die Art, die ich es aus Oldenburg (einer der fahrradfreundlichsten Städte Deutschlands) gewohnt bin. Das liegt vor allem an all den Menschen, die Fahrradfahrer*innen so gar nicht auf dem Schirm haben. Aber auch an der Fahrradfahrinfrastrukur.
Ich lebe im Stadtviertel Krowodrza. Als dieses Viertel, damals als Vorstadt Krakaus, langsam begann, zu wachsen, wurden die Straßen noch nicht von Autos verstopft. Weite, ausladende Straßen, auf denen Platz für Bürgersteige, Fahrradwege, Parkplätze und mindestens zwei Spuren für PKWs, Busse und idealerweise auch noch Straßenbahnen ist, waren keine Priorität der damaligen Bauherren, die nicht in die Zukunft sehen konnten. Das führt dazu, dass es oft schon für nur eine der oben genannten Gruppen wirklich eng wird. Irgendwann kam dann jemand auf die Idee, ein verwirrendes System aus Einbahnstraßen zu entwerfen. Und damit das alles noch witziger wird – und es sich außerdem lohnt, Fahrrad zu fahren, weil man sich dann nicht über Straßeneinfahrverbote ärgern braucht – überlegte man sich einige Jahre später, dass Fahrräder sich nicht an Einbahnstraßen zu halten brauchen. Stattdessen wurde ein Streifen der Straße mit gestrichelten Linien zum Fahrradweg umgetauft. Leider hat sich scheinbar niemand Gedanken darüber gemacht, dass Autos in einer Einbahnstraße nicht unbedingt damit rechnen, dass ihnen ein Rad entgegen kommt, was häufig zu quietschenden Bremsen oder waghalsigen Ausweichmanövern führt. Fährt ein Rad in die gleiche Richtung, wie die Einbahnstraße es vorgibt, dann ist es dennoch nicht besser, denn die rabiaten Autofahrer*innen Krakaus finden nichts schrecklicher, als hinter einem Rad herdackeln zu müssen. Die erstbeste Chance wird genutzt, um den*die Radfahrer*in in die parkenden Autos auf dem Seitenstreifen zu drängen und haarscharf daran vorbei zu düsen.
Es gibt aber auch Alternativen zu diesen schmalen Straßen. So könnte ich mir beispielsweise mit Straßenbahnen eine Straße teilen. Das Problem ist, dass ich auf eine lange Strecke gesehen zwar genau so oder sogar schneller als eine Straßenbahn fahre, da ich ja nicht ständig Mitfahrer*innen ausspucken und wieder einpacken muss. Auf einen Streckenabschnitt bemessen, bin ich allerdings eine lahme Ente im Vergleich zu den schnittigen Krakowiak-Straßenbahnen. Fahre ich also vor einer Straßenbahn, spüre ich die sengenden Blicke der Straßenbahnpassagiere voller Verurteilung auf mir, dass sich meine Nackenhaare aufstellen. Grundsätzlich sind Fahrräder im ganz allgemeinen Straßenverkehr erlaubt und dort tauchen auch vielerorts (teilweise aus dem Nichts) Fahrradstreifen auf, die quer über hektische, befahrene Kreuzungen führen. Da flitzen die Radpendler*innen mit ihren schnieken Kostümen und neonfarbenen Helmen auf Rennrädern an mir vorbei und ich fühle mich ziemlich verloren auf meinem City-Damenrad mit Fahrradkorb. Ich fahre gerne auf der Straße, wenn es tatsächliche Radwege gibt und ich nicht alle paar Meter Gefahr laufe, zwischen zwei Busse, Kleinlastwagen und manische SUV-Fahrer*innen zu geraten. Ich bin eher so der nicht-lebensmüde, weniger risikobereitschafte Typ.
Auf kleineren Straßen jedoch, wie zum Beispiel direkt bei unserem Haus, fahre ich problemlos auf der Straße. Und hier kommt mir dann meine passiv-aggressive Grundhaltung zu Nutze. Egal wie flott ich fahre, es gibt immer Drängler*innen. Meistens ist das aber völlig überflüssig, weil drängeln nur bedeutet, dass entsprechendes Auto schneller wieder an einem Zebrastreifen/Ampel/alltäglichen Verkehrsstau zum Stehen kommt. Manchmal, wenn es etwas zu riskant wird oder wenn ich keine Lust habe, hinter stinkenden Abgasfahnen zu warten, bis der Verkehr weiter geht (nie), wechsle ich auf den Bürgersteig, fahre ein paar Meter und dann ist es mir die größte Freude, am Zebrastreifen zu warten, bis einer dieser besonders miesen Drängler*innen langsam und fluchend heran rollt, um abzusteigen und wirklich gemächlich über den Zebrastreifen zu schieben. Was für ein Triumph.
Aber versteht mich nicht falsch, ich fahre gerne seitlich ran, fahre sogar langsamer, damit ein Auto mich überholen kann, aber wenn’s nicht geht, dann geht’s halt nicht. Ist nicht meine Schuld, ich habe diese Stadt nicht entworfen.
Es ist aber nun auch nicht alles schrecklich. Wie bereits gesagt, in Krakau wird schon ordentlich an einer Fahrradinfrastruktur gebaut, es braucht halt einfach ein paar Jährchen (Generationen?) bis Fahrradfahrer*innen zur Normalität geworden sind und sich andere Verkehrsteilnehmende daran gewöhnen.
Zeit für die Öko-Radler*innen, sich zu zeigen
Bisher gibt es in Krakau noch nicht so viele Alltagsradler*innen. Es gibt, wie gesagt, flotte Flitzer, die perfekt ausgestattet jeden Tag zur Arbeit rasen, es gibt ein paar alte Leutchen, die so ganz gemütlich auf ihren Drahteseln durch die Stadt gurken, es gibt sportive Ausflugsbiker, die vor allem am Wochenende entweder in Kleingruppen oder als Vater-Sohn-Gespann unterwegs sind und es gibt so ein paar ganz schlimme radfahrende, bestimmt auch vegetarische, Ökos vor denen man in Polen warnt. Zu der Gruppe gehöre ich.
Und ich erfreue mich daran, wenn ich zu Freunden in den östlichen Stadtteil Nowa Huta mit dem Rad dank breiter, asphaltierter Radwege nur 30 Minuten brauche (mit dem Bus geht es nicht schneller) oder wenn ich malerisch an der Weichsel entlang in den Stadtrandbezirk „Bielany“ zu der Grundschule, in der ich vor Jahren als Freiwillige gearbeitet habe, radeln kann. Überhaupt ist an der Weichsel entlang kilometerlang ein toller Ausflugsradweg entstanden, man kommt hier zum herrlichen Naturschutzgebiet „Zakrzówek“, kann Kajak-Turnieren auf einer Raftingstrecke zugucken und letztendlich bei einem Kloster Eis oder mönchsgebrautes Alkoholisches zu sich nehmen, es ist wirklich idyllisch.
Doch nicht nur in Ausflugswege wird investiert. Auch sonst wird inzwischen jedes Mal, wenn eine Straße erneuert oder neu ausgebaut wird, ein Fahrradweg mitgedacht. So wurde im Rahmen der Straßenbahntrassenerneuerung rund um die Altstadt im vergangenen Jahr kurzerhand eine Spur für Autos gestrichen und dafür ein breiter Fahrradweg angelegt. Toll! Die Richtung in die ich diesen Fahrradweg fahre, geht noch dazu immer bergab. Noch toller. Zusätzlich wurden rund um die Stadt und bei allen öffentlichen Gebäuden fest im Boden verankerte Fahrradständer angebracht. Das beruhigt mein paranoides Ich ungemein.
Es braucht zwar schon ein etwas dickes Fell (und ich bin gerade dabei, mir schnippische Antworten für unverschämte Nörgler*innen auf Polnisch zurecht zu legen), aber dennoch lohnt sich das Fahrrad in Krakau unglaublich. Ich bin viel mobiler, komme in viele Ecken, die ich sonst nie oder nur durch Busscheiben gesehen habe, mache häufiger einen kleinen Ausflug „mal eben so“ und habe noch dazu viel mehr Bewegung. Für meinen Mann bedeutet das Rad nur halb so lang zur Arbeit zu brauchen. Die Lebenszeit, die so eingespart wird, ist ungemein wertvoll. Für alle, die also noch unentschlossen sind: Ja, es lohnt sich.
Kauf dir ein Rad und erkunde Krakau! Am besten sofort!
[…] [Original version: GERMAN] […]
[…] einigen Monaten teilte ich auf diesem Blog meine Freude über Fahrradfahren in Krakau, trotz der eher unzulänglichen Infrastruktur für gemütliche Stadtradlerinnen wie mich. Vor […]